Unsicher ambivalenter Bindungsstil

Hier wird schon deutlich, dass die Eltern keine regulierte Konstanz und Resilienz in ihrem inneren Erleben haben. In allen authentischen Bedürfnissen wird das Kind häufig enttäuscht, die Antworten der Bezugspersonen fallen nicht zuverlässig aus, das beraubt das Kind seiner inneren Sicherheit und Geborgenheit.
Das Kind hat keinen zuverlässigen Kompass, mithilfe dessen es eine positive Antwort in der Beziehung zu den Bezugspersonen erhalten kann. Es kann nichts richtig machen, es verliert die Orientierung über die Möglichkeiten, den Kontakt entsprechend seiner Bedürfnisse zu gestalten. Dadurch ist die innere Spannung und Unruhe sehr hoch, weil das Kind nie absehen kann, ob es das erhält, was es so dringend benötigt: Zuwendung, Geborgenheit, Sicherheit, Fürsorge. Und der Bedürfnisumfang ist für jedes Kind sehr individuell ausgeprägt.

Das dem menschlichen Organismus innewohnende Bedürfnis, die Homöostase, also das Gleichgewicht wiederherzustellen und sich zu regulieren, führt bei dieser Struktur dazu, dass der Erwachsene dann ausagiert, gegen andere »schießt« oder nach innen »einfriert«, indem er sich z.B. abwertet. In der Fähigkeit der Selbstregulierung verfügt er häufig nicht über ausreichende Skills. Diese Skills lernt jeder Mensch schon als Baby durch die konstante Co-Regulierung über die engsten Bezugspersonen, häufig ist es die Mutter, die das Baby zu sich nimmt, an ihren Körper schmiegt und es beruhigt, wenn es schreit.
Das noch nicht ausgereifte Nervensystem des Babys reguliert sich dann durch das reifere Nervensystem der Erwachsenen; von Körper zu Körper sozusagen. Nur auf diese Weise lernt das Kind Selbstregulierung, die es dann später vornehmen kann, wenn die innere Spannung hoch ist. Es vertraut dann darauf, dass alles »runterkommen« kann, was »hochgeht«, weil es so gelernt, sozusagen in sein System »programmiert« wurde.

Wenn diese Co-Regulierung nicht zuverlässig geschehen ist, fährt das Nervensystem bei Herausforderungen schnell hoch, auch die Gefühle schießen hoch. Der Mensch mit unsicher-ambivalentem Muster ist dann häufig daran gewöhnt, diese enorme Spannung nach außen auszuagieren durch Abwertung anderer bzw. Streit oder nach innen einzuagieren durch Selbstabwertung. Gelegentlich wird aus Kleinigkeiten ein Drama in Gang gesetzt – die Mücke, die zum Elefanten wird – oder aber der innere Abwärtssog der Selbstabwertung führt zu depressiven Stimmungen. Den Ton und die Qualität der Mittellage zu finden, fällt nicht leicht. Die eigenen inneren Spannungen und Gefühle zu regulieren, konnte nicht gelernt werden.
Im therapeutischen Setting des Somatic Experiencing können Selbstwahrnehmung und Selbstregulierung erlebt und erlernt werden.

Die innere Spannung der Zerrissenheit im unsicher-ambivalenten Beziehungsmenschen kann also zu Unruhe und überschießenden emotionalen Reaktionen führen, aber auch zu Fehldeutungen im Beziehungserleben. Das Verhalten des Gegenübers wird häufig auf sich selbst bezogen. Beziehungspartner, die nicht zuverlässig da sind – räumlich oder emotional – erscheinen begehrenswerter als die, die präsent und da sind. Zuviel Nähe in der Partnerschaft kann als bedrängend erlebt werden und zu Rückzug oder Abweisung führen. Zwischen diesen beiden Polen die Balance zu finden ist eine Herausforderung und Chance.

Die innere Zerrissenheit führt in Beziehungen oft dazu, dass immer wieder unbewusst der Partner / die Partnerin ab- oder aufgewertet wird; das innere Muster wird deutlich in diesem Satz: »nicht mit dir, aber auch nicht ohne dich«. Dadurch entsteht viel Unruhe und Unsicherheit in Beziehungen. Die vom kleinen Kind erlebte Widersprüchlichkeit der Beziehungsangebote der Eltern wird in der Beziehung der Gegenwart wiederholt, meist ohne dass es bewusst ist, weil der Schmerz und die eigentlichen Bedürfnisse verdrängt wurden. (siehe voriger Blogartikel)

Aber auch bezogen auf sich selbst ist ein Mensch mit dieser Struktur inneren Ambivalenzen ausgesetzt: die Einschätzung in Bezug auf die eigenen Fähigkeiten fällt mal eher hoch, mal eher zu niedrig aus. Es besteht häufig keine Verlässlichkeit im inneren Erleben. Selbstzweifel sind schnell zugänglich, fehlte doch damals der innere Sicherheit gebende Halt und die Konstanz im positiven Spiegel durch die Eltern bzw. Bezugspersonen. Somit wird die Welt jetzt durch diese Brille der Unsicherheit und Ambivalenz wahrgenommen und interpretiert – darauf abgestimmt ist das Reaktions- und Verhaltensrepertoire.

Manchmal ist auch Misstrauen dem Beziehungspartner gegenüber vorhanden, entsprechend dem damals erlebten mal so, mal so-Verhalten der Eltern, deren emotionalen Unzuverlässigkeit. In der heutigen Beziehung kann leicht das innere Gefühl aufkommen, die Partnerin / der Partner ist nicht sicher oder könnte gehen. Gelegentlich führt das dazu, dass eine aktive Trennung dem steten Gefühl der Unsicherheit vorgezogen wird oder der ambivalente Beziehungsmensch versucht, mehr Kontrolle über den Beziehungspartner zu erlangen, was nicht selten zu Irritation und Abwehr im Gegenüber führt.

Im begleiteten therapeutischen Prozess können diese Strukturen aufgedeckt und mit den inneren Spannungen und Ambivalenzen gearbeitet werden. Wir können dem Ton der Mittellage auf die Spur kommen und die Qualitäten darin entdecken. (siehe auch mein voriger Blog-Beitrag zum unsicher-vermeidenden Bindungsstil) und das Intro zu Bindungsstilen.

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