Was bedeuten eigentlich Bindungsstile?
Kinder sind von Beginn an vollständig darauf angewiesen und abhängig davon, dass ihre Bedürfnisse von den primären Bezugspersonen – meistens sind es die Eltern – angemessen gesehen, erkannt, gefühlt und beantwortet werden. Dazu gehört auch, dass die Gefühle des Kindes ausgedrückt werden dürfen. Jedes Kind hat individuelle Bedürfnisse, auf die eingegangen werden muss, um sie zu stillen. Und hier ist die Doppelbotschaft von Stillen schon enthalten. Es geht um das Genährtwerden auf körperlicher und seelisch-emotionaler Ebene. Dabei geht es um elementare und individuell in unterschiedlichem Umfang vorhandene Grundbedürfnisse wie Sicherheit, Schutz, Halt, Orientierung, Geborgenheit, Zuwendung, Fürsorge und Nähe.
Die Bedürfnisbefriedigung wird von Kindern primär angestrebt; wenn die Bedürfnisse häufig nicht ausreichend erkannt und beantwortet werden, führt das zu Enttäuschung, Frustration und Resignation beim Kind. Der Schmerz, immer wieder enttäuscht zu werden in der nicht-Beantwortung der Bedürfnisse ist sehr sehr stark für Babys und Kinder und wird nicht mental, sondern körperlich erlebt.
Darüber hinaus führt dieser Frust zu innerem Stress, der wiederum Verschaltungen im Gehirn auslöst. Es werden entsprechend dieses inneren Stresses Hormone wie Cortisol ausgeschüttet und der Zweig des Nervensystems, der bei Stress in den Vordergrund kommt, nämlich der Sympathikus, wird aktiv und ist erhöht. Das bedeutet eine innere Spannung im physischen System des Kindes, die sich unangenehm anfühlt.
Aufgrund der Aktivierung der Hormone und des Nervensystems entwickelt das auf Überleben ausgerichtete und zu Homöostase, also zu innerem Gleichgewicht strebende organische System des Kindes Anpassungsstrategien. Das geschieht einerseits, um auf emotionaler Ebene überhaupt Bindungsanteile zu erhalten, die für die Eltern machbar sind und zweitens auf biologisch-physischer Ebene, um sein System zu regulieren, in dem Spannung erlebt wird. Die eigentlichen Bedürfnisse werden dann tief ins Unbewusste verdrängt und sind damit nicht mehr fühl- und erlebbar. Auch später hat der Erwachsene in der Regel keine Verbindung mehr zu ihnen. Der jetzt angepasste Zustand wird als die Normalität erfahren, als das, wie »ich bin«.
Die Art und Weise, wie Bezugspersonen auf die individuellen Bedürfnisse der Kleinkinder eingehen, führt demzufolge aufgrund der entsprechenden Anpassungsformen zur Entwicklung von unterschiedlichen Bindungsstilen bei den heranwachsenden Kindern. Diese Bindungssteile werden erlebbar, wenn die einstigen Kinder selbst Beziehungen eingehen. Dann zeigt sich, wie Beziehungen erlebt werden, ob sie als sicher empfunden werden oder ob Vermeidung, Ambivalenz oder Desorientierung den Beziehungsstil dominiert.
Anders ausgedrückt ist das innere Erleben, das im Kind entsteht, wie auch immer der frühe Prozess in der Kindheit gelaufen ist, fortan der innere Kompass, nach dem die Welt exploriert, interpretiert und bewertet wird. Die Erwartung, die sich an die Welt richtet, verläuft entlang dieser Muster, auf die mit den verinnerlichten Anpassungssstrukturen geantwortet wird.
Die klassische Bindungstheorie wurde von dem britischen Kinderpsychiater und Psychoanalytiker John Bowlby entwickelt.
Neben dem sicher gebundenen Bindungsstil, der schon darauf hinweist, dass in der Prägungsphase der frühen Kindheit alles in Bezug auf die Bedürfnisse des Kindes glücklich verlaufen ist, gibt es den
• unsicher-vermeidenden,
• den unsicher-ambivalenten und den
• desorganisierten Bindungsstil.
»Unsicher« weist in diesem Zusammenhang auf die unsichere, d.h. nicht zuverlässige Bindung zu den primären Beziehungspersonen hin, die mit der nicht-Beantwortung der Bedürfnisse des Kindes einhergeht.
Laut Studien ist ungefähr die Hälfte der Menschen in unserer Kultur sicher gebunden, jeweils 20–25 Prozent haben einen unsicher-vermeidenden Beziehungsstil und einen unsicher-ambivalenten Beziehungsstil. Der desorganisierte Stil liegt bei 5–10 Prozent.
Die beiden weiteren Blogbeiträge widme ich dem unsicher-vermeidenden und dem unsicher-ambivalenten Bindungsstil.