Wie entsteht Bindungstrauma?

Wenn Eltern nun aufgrund dessen, dass sie in ihrer Kindheit selbst Distanz und Manipulation durch die eigenen Eltern erlebt haben, lernen mussten, ihre Bedürfnisse nach Nähe und Autonomie zu unterdrücken und sich anzupassen, kommen sie automatisch mit ihrem eigenen Trauma in Kontakt, sobald ihre Kinder Lebendigkeit, Wut, Impulsivität zeigen oder ihr Bedürfnis nach Kontakt, Nähe und Nahbarkeit einfordern.

Eltern, die selbst traumatisiert sind, halten diesen direkten lebendigen Lebensausdruck ihrer Kinder nicht aus, weil sie mit ihrem eigenen unterdrückten Traumageschehen, ihrer Trauer und Wut, in Berührung kommen. Sie wenden sich ab, schaffen Distanz, schicken ihre Kinder weg oder regulieren die Situation auf ihre eigene – oft manipulative – Weise.

Das Kind erlebt mehr oder weniger subtil die Abwehr, die Zurückweisung durch die Eltern. Es entsteht enormer innerer Stress durch die massive Angst vor Bindungsverlust. Die Distanz und Zurückweisung der Bedürfnisse wird als »nicht-gewollt-sein in den eigenen Bedürfnissen« erlebt und erzeugt automatisch neben dem Stress Trauer und Wut, die als lebendiger Ausdruck ebenfalls nicht gezeigt werden dürfen und unterdrückt werden müssen.

Kinder müssen sich für Bindung und Anpassung entlang der Vorgaben ihrer Eltern entscheiden und die Lebendigkeit in sich unterdrücken, verdrängen, selbst nicht mehr erleben. Meist ziehen Kinder dann auch zwangsläufig die Schlussfolgerung, dass ihre Gefühle und Bedürfnisse falsch sein müssen, denn sonst würden die Eltern ja im Kontakt und liebevoll sein.

Dieser Ausweg, selbst schuld zu sein an der Zurückweisung, ermöglicht dem Kind die Option von Kontrolle, nämlich sich selbst dahingehend anzupassen, dass alles gut sein wird, wenn es sich nur richtig verhält. Das ist der leichtere Ausweg, denn die andere Option, dass die Eltern niemals bedingungslos lieben werden, ist für das Kind nicht aushaltbar, denn es würde die Sicherheit der Bindung verlieren.

Auf diese Weise wird generationenübergreifend Trauma weitergegeben. In unserer Gesellschaft finden wir kaum jemanden, der nicht in der einen oder anderen Ausprägung bindungs-/entwicklungstraumatisiert ist.

Durch dauerhaftes nicht ankommen können mit den eigenen Bedürfnissen nach Bindung und Autonomie wird im Kind langanhaltend hoher Stress erzeugt; es ist gezwungen, sich für Bindung zu entscheiden – wie auch immer diese Bindung dann gelebt werden muss, weil nur über Bindung das Überleben gesichert ist. Damit muss das Kind zwangsweise sein Bedürfnis nach Autonomie unterdrücken; der Organismus lernt, dieses Bedürfnis zu kompensieren, es entstehen über die Zeit leidvolle Ausdrucksformen im sozialen Verhalten und Symptome wie Abwehr anderer, die Erwartung von Gefahr und Abwehr durch andere, Aggression gegen andere oder sich selbst, manipulatives Verhalten, gestörtes Essverhalten, sich Betäuben durch zu viel Konsum – da gibt es neben dem stofflichen Konsum wie zuviel exzessives kaufen, Sex, Sport u.a. auch unendlich viele Möglichkeiten in der virtuellen Welt – Substanzmissbrauch, Rückzug, schwierige Beziehungen, on-off-Beziehungen, weil der traumatische Stress in der Nähe zu anderen wieder spürbar wird.

Wie können wir nun aus diesem Dilemma herauskommen? Ein Ansatz ist, zunächst einmal die Zusammenhänge eigener Erlebens- und Ausdrucksformen mit dem Erlebenshintergrund des Damals zu erschließen. Stück für Stück das Spüren im Körper und Fühlen der Gefühle zurückzuerobern. Der verdrängten Trauer und Wut auf die Spur zu kommen, die Gefühle wiederzuentdecken und zu würdigen, zu sich zu nehmen; in die Beziehung zu sich selbst einzutreten, sich mit diesen Gefühlen da sein zu lassen. Ankommen bei sich selbst in einer Umgebung von Sicherheit und Vertrauen.
Lass uns beginnen, in heilsame Kontakte mit uns selbst und unseren Mitmenschen kommen. Du bist herzlich willkommen.

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